Die andere Wange hinhalten

Eh, bist du bescheuert, wer macht denn so was. Wenn ich einen drauf kriege, dann fliegen aber die Fetzen. Dann kann der Sportsfreund, der mich angegriffen hat, aber was erleben, wo der Hammer hängt oder …? Nebenbei bemerkt ist es eine besondere Beleidigung und Erniedrigung, wenn mich ein Rechtshänder, welches die meisten Leute ja sind, auf die  r e c h t e  Wange schlägt, also mit dem Handrücken der rechten Hand. Das ist kein einfaches Watschen, wie die Bayern sagen würden. Da zieht jemand in die andere Richtung durch, um ganz konkret seine Machtposition zu demonstrieren.

Und da soll ich mich nicht wehren; da soll ich nur wie ein Depp stehenbleiben und vielleicht noch als solcher mein Gegenüber anlächeln. Ist Jesus da nicht sehr weltfremd mit seiner Forderung: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ Auch wenn damit eher private, scheinbar illusorische Verhaltensmaßnahmen gemeint sind und keine politischen Regeln für Staaten und Regierungen, haben sie dennoch politische Auswirkungen. Nur da wo wir als Menschen die Spirale von Gewalt und Gegengewalt durchbrechen, kann wieder etwas Menschliches hervor gebracht werden. Solange Menschen nicht aufeinander zugehen, werden Waffen sicherlich keinen Frieden schaffen, sei es in Afghanistan, im Sudan oder in der Ukraine.

Und ich habe in der vergangenen Woche voll Sorge in die Ukraine geblickt. Die Menschen dort haben den Weg der Gewalt gewählt. Einen Weg, der sie auch in Zukunft noch beschäftigen wird, wenn die Ukraine denn jemals geeint einen Weg (nach Europa, nach Russland??) gehen sollte.

Auf dem Unabhängigkeitsplatz Maidan lieferten sich in der vergangenen Woche Sicherheitskräfte und Regierungsgegner schwere Straßenschlachten. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Blendgranaten ein. Demonstranten schossen mit Feuerwerkskörpern und versuchten, die Sicherheitskräfte mit starken Laserpointern zu blenden. Scharfschützen ermordeten gezielt Demonstranten. Im Zentrum von Kiew brannte es an vielen Stellen. Steine aber auch andere Waffen in den Händen der Demonstranten. Vertreter der Kirche mittendrin.

Das erinnert mich an die Ereignisse hier im Osten Deutschlands vor nicht allzu langer Zeit: Am 9. Oktober 1989 war das Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche Ausgangspunkt der friedlichen Demonstration von 70.000 Menschen. Kein Mensch wusste an diesem Abend, ob geschossen wird oder nicht. Erst wenige Monate zuvor hatte das chinesische Militär auf dem Platz des Himmlischen Friedens einen Volksaufstand und die Demokratiebewegung der Studenten mit Waffengewalt niedergeschlagen.
In Leipzig 1989 richtete der Ruf Zehntausender: „Keine Gewalt“ sich gegen das massive Aufgebot der Sicherheitskräfte aber auch an die Demonstranten.

Die Gewaltlosigkeit, zu der die Christen durch die Botschaft von Jesus aufgefordert sind, soll mit auf die Straßen und Plätze genommen werden, so die Forderung damals. Und Kerzen und Gebete haben letztendlich die Planung der Stasi durcheinander gebracht. Warum vergessen die Menschen, dass sich auch ohne Gewalt etwas bewegt, dass man den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen kann. Das fängt schon in der eigenen Familie an und nicht erst vor der Haustür.

Vergessen wir Mahatma Gandhi nicht, der einmal gesagt hat: „Ich lehne Gewalt ab, weil das Gute, das sie zu bewirken scheint, nicht lange anhält; dagegen ist das Schlechte, das sie bewirkt, von Dauer.“