Der Sommer kommt

… bestimmt irgendwann. Und da ich mich jetzt schon unbändig nach der warmen Jahreszeit sehne, fiel mir vor einigen Tagen ein Lied in den Kopf, das nicht im allgemeinen Teil des katholischen Gesangbuchs „Gotteslob“ steht. Aber es ist, Gott lob, von meinem sehr verehrten Liederdichter Paul Gerhardt; und aufgenommen in den Bistumsteil Erfurt:

Geh aus, mein Herz, und suche Freud

1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud

in dieser lieben Sommerzeit

an deines Gottes Gaben;

Schau an der schönen Gärten Zier,

und siehe, wie sie mir und dir

sich ausgeschmücket haben.

Paul Gerhardt schreibt dieses Gedicht als ein Geistliches Sommerlied. Es wird 1653 in der fünften Auflage des Gesangbuchs Praxis Pietatis Melica veröffentlicht, einem damals weitverbreiteten Evangelischen Gesangbuch. Dieses Buch ist eine Sammlung verschiedener Dichtungen und Kompositionen, von Martin Luther, „wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger, und Reiner Evangelischer Lehre Bekenner“ (so konnte man es noch 1721 auf dem Titelblatt der 49. Auflage lesen). Die Liedersammlung ist gedacht „zur Beförderung des sowohl Kirchen- als auch Privatgottesdienstes“ als „Übung der Gottseeligkeit“ – heute würde man sagen: als Andachts- oder Gebetsbüchlein in allen Lebenslagen. Schließlich heißt es ja: Wer singt betet doppelt.

Das scheint sich die evangelische Kirchenmusik ins Herz geschrieben zu haben. Haben wir bis heute – nicht nur vom 5. Evangelisten Joh. Seb. Bach – sondern von verschiedenen Dichtern und Komponisten reichhaltige Kantaten- und Oratorien- und Liederschätze. So erging es auch diesem Gedicht von Paul Gerhardt: Der Liedtext wurde im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte immer wieder mit verschiedenen Melodien verknüpft. Paul Gerhardt selbst veröffentlichte ihn zunächst zu der Melodie des Liedes „Den Herrn meine Seel erhebt“. Die bekannteste Melodie stammt von August Harder (1775–1813). Sie wurde dem Gerhardtschen Text erstmals 1836 von dem Organisten Friedrich Eickhoff (1807–1886) unterlegt. Das problematische an dieser Fassung ist jedoch, dass die Melodie eine Wiederholung der letzten Textzeile einer jeden Strophe verlangt, wodurch häufig Textzeilen von geringer Wichtigkeit ein zu starkes Gewicht bekommen.

Dennoch: Der beschwingte, fröhliche Ton der Melodie passt jedoch sehr gut zum Charakter des Gerhardtschen Textes und trug sehr zur Beliebtheit des Liedes als Natur- und Wanderlied bei. Diese Melodie liegt sowohl der Fassung im heutigen EG als auch der Fassung im GL-Anhang zugrunde.

2. Die Bäume stehen voller Laub,

das Erdreich decket seinen Staub

mit einem grünen Kleide.

Narzissus und die Tulipan,

die ziehen sich viel schöner an,

als Salomonis Seide.

 

 

 

3. Die Lerche schwingt sich in die Luft,

das Täublein fliegt aus seiner Kluft

und macht sich in die Wälder,

Die hochbegabte Nachtigall

ergötzt und füllt mit ihrem Schall

Berg, Hügel, Tal und Felder.

4. Ich selber kann und mag nicht ruhn,

des großen Gottes großes Tun

erweckt mir alle Sinnen:

Ich singe mit, wenn alles singt,

und lasse, was dem Höchsten klingt,

aus meinem Herzen rinnen.

Viele Abdrucke des Textes beschränken sich auf die Auswahl der Strophen 1–3 und 8 der Originalfassung. Also der Strophen, die wir bis jetzt gesungen haben. In dieser Form verselbständigte sich das Lied zum Volkslied. Der Erfurter Anhang des Gotteslobes fügt dieser Fassung noch 4 nachfolgende Strophen an. Der aber viel weiter ausholende Liedtext umfasst im Original 15 Strophen. Trotzdem lassen sich die von Gerhardt intendierten Abschnitte gut erkennen: Im ersten Teil steht die Betrachtung der Natur als „des großen Gottes großes Tun“ (Strophe 4 bzw 8) und die Bewunderung ihrer Schönheit im Vordergrund.

Der zweite Teil handelt von der Vorahnung, dass der himmlische Garten die irdische Schönheit nochmals überstrahlen werde.

Die Schlussstrophen leiten aus dem Vorangegangenen die Bitte ab, zur Vollendung zu gelangen. Der Weg dorthin wird in Bildern aus der Natur veranschaulicht: „… dass ich dir werd ein guter Baum“, „Verleihe, daß zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben“ (7 bzw. 14) sowie „laß mich bis zur letzten Reis an Leib und Seele grünen“ (8 bzw. 15).

Verweilen wir noch ein bisschen bei den ersten Strophen. Wer möchte dies nicht erkennen. Es grünt und blüht aller Orten. Wenn auch der Winter dieses Jahr nicht so hart ausgefallen ist, wie vermutet, so ist es doch befreiend, dass er sich „zurückgezogen hat in seiner Schwäche“. In der heutigen Zeit tun wir solche Naturbetrachtungen oftmals als Zeitverschwendung und romantisierenden Kitsch ab. Auch ich als Stadtmensch reduziere das oft und übrig bleibt nur noch die alte norddeutsche Affinität, stundenlang ernsthaft über das Wetter zu reden. Und geht die Rede weiter, so diskutiert man über die Klimaveränderungen. Und weiter: Dass früher alles besser war.

Eine Parodie des Liedes mit der Jahresangabe 1996 und anonymen Verfasser führt das ganze auf die Spitze:

1.Geh aus, mein Herz, und suche nur! Du findest nicht mehr die Natur

in ihrem schönen Kleide. Der Smog verdeckt das Himmelreich,

die Flüsse sind Kloaken gleich, verschmutzt sind Wald und Heide.

2. Müllhalden brennen Tag und Nacht, dahin ist unserer Seen Pracht,

vorbei des Waldes Schweigen. Die Luft ist schwer und voll Gestank,

der Lärm macht viele Menschen krank. Groß ist des Todes Reigen.

3. Wohin man schaut: Natur in Not! Millionen leben ohne Brot

und haben Angst vor Kriegen. Die Technik wird uns zur Gefahr,

man rüstet auf von Jahr zu Jahr, doch niemand mehr wird siegen.

Dieser Rede hat sich Paul Gerhardt sicher nicht hingegeben, wohl auch, weil dass kein Thema in seiner Zeit war. Offen und ehrlich beschreibt er die Schöpfung in der Sommerzeit. Dabei verweist er voller Stolz auf den Urheber und Geber all dieser Gaben, an denen wir uns erfreuen dürfen und sollen, auch und trotz all der ökologischen, ökonomischen oder sozialer Sünden, die der Mensch begangen hat.

5. Welch hohe Lust, welch heller Schein

wird wohl in Christi Garten sein?

wie muß es da wohl klingen,

Da so viel tausend Seraphim

mit eingestimmtem Mund und Stimm

ihr Halleluja singen?

6. Hilf mir und segne meinen Geist

mit Segen, der vom Himmel fleußt,

dass ich dir stetig blühe!

Gib, dass der Sommer deiner Gnad

in meiner Seelen früh und spat

viel Glaubensfrüchte ziehe.

(viel Glaubensfrücht erziehe)

Vom zweiten Teil, der den himmlischen Garten als eine Vision erscheinen lässt, die den irdischen Glanz und die vergängliche Schönheit der Natur bei weitem überstrahlt, ist uns nur diese 6. Strophe geblieben. Wer denkt da nicht gleich an den Garten, den uns Gen 2,8 und fortfolgende beschreibt. Er wird als Garten in Eden, im Osten beschrieben, der alles enthält, was der Mensch zum Leben braucht und ihn erfreut. Ein Paradies ebenso wie ein Schlaraffenland vermutlich. Ein Traum und ein Alptraum für manche Menschen wohl zugleich. Das ist das, was wir allgemein als Himmelreich Gottes bezeichnen, auch wenn jeder so seine eigenen Vorstellungen von diesem Ort oder Zustand hat. Ein Ort an dem Jesajas Vorstellungen vom Gastmahl im Reich Gottes wahr wird.

„Der Herr der Heere wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den besten und feinsten Speisen, mit besten, erlesenen Weinen.“ (Jes 25,6) Ein Bild das uns hier gemalt wird, kein Bild eines alltäglichen Sättigungsmahles, wie es in unseren Breiten schon selbstverständlich geworden ist, vielmehr ein Bild der Vollendung und Fülle, deren Freuden wir heute schon vorkosten können. Paul Gerhardt liefert uns hierzu die Bedingungen, wie man an diesen Ort gelangen kann.

7. Mach in mir deinem Geiste Raum,

dass ich dir werd ein guter Baum,

und lass mich Wurzel treiben (wohl bekleiben)

Verleihe, dass zu deinem Ruhm

ich deines Gartens schöne Blum

und Pflanze möge bleiben.

 

 

 

8. Erwähle mich zum Paradeis

und lass mich bis zur letzten Reis’

an Leib und Seele grünen:

So will ich dir und deiner Ehr

allein, und sonsten keinem mehr,

hier und dort ewig dienen.

Der Geist ist Gottes liebender und alles belebender Geist, der mich treiben soll, wie ein guter Baum feste Wurzeln im Glauben zu schlagen. Dieses Bild vom „Bleiben“ („dass zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben“) erinnert mich sehr stark an das „Bleiben“, das Jesus meint, wenn er sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Joh 15,5) Ein sehr starkes Bild welches oft in der Erstkommunionkatechese verwendet wird. Ein Bild von einem anderen Garten, vom Weinstock, der viele Reben hat. Die Reben sind Jesu Jünger und all jene, die es werden wollen. Mit dem Bild des Weinstocks und den Reben kann ich gut in dieser heutigen Zeit, in dieser Gesellschaft leben. Auch wenn unsere Gesellschaft immer weniger christlich beeinflusst zu sein scheint, werde ich die Menschen in meiner Umgebung fragen, aus welchen Quellen sie leben, und eventuell mit ihnen über die Früchte diskutieren, die ihr und mein Glaube oder Nicht-Glaube hervorbringt.

Was ich am Christentum schätze und in einer gegenwärtigen Wertediskussion nicht vermissen möchte, ist die Wertschätzung jedes menschlichen Lebens aufgrund der Personwürde jedes Einzelnen. Welchen Platz räumen wir in unserer Gesellschaft Behinderten, Kranken, Alten, Minderbegabten (was auch immer von Fall zu Fall darunter verstanden wird) ein? Der Glaube an einen liebenden Schöpfer verlangt mir Ehrfurcht ab vor allem, was da ist. Er verlangt von mir auf Verhaltensweisen zu verzichten, die für die Zukunft der Schöpfung schädlich sind. Zugleich ist der christliche Gottesglaube für mich die Grundlage jeder Form von Gerechtigkeit und gerechter Verteilung der Lebensgüter.

Europäische Staaten stellen sich neben der allgemeinen Wertefrage, die zwar mit der Wirtschafts- und Finanzkrise etwas in den Hintergrund gerät, stellen sich die Frage, wie viel Christentum wir heute brauchen. Sicher bringen auch andere Religionen gute Früchte hervor. Ich erinnere da nur an Mahatma Ghandi, dennoch muss ich als Christ darauf antworten: Menschen, die durch Christus mit Gott verbunden sind und aus dieser Verbindung heraus ihr Leben gestalten, können nie zu viele sein. Denn aus ihrem Glauben und ihrem Tun werden die Früchte hervorgebracht, die in der Gegenwart geschätzt sein werden und die auch für die Ewigkeit erhalten bleiben. „So will ich dir und deiner Ehr allein, und sonsten keinem mehr, hier und dort ewig dienen.“ Auch wenn die Bilder, die uns Paul Gerhardt malt, in der heutigen Zeit nicht mehr so ganz originell und etwas kitschig erscheinen. Das In-Christus-Bleiben ist heute aktuell wie zu Paulus Zeiten. „Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“