Hinunter ist der Sonnenschein

Nikolaus Herman veröffentlichte 1560 den Text zu diesem Abendlied. Melchior Vulpius vertonte 1609 diesen Text auch mehrstimmig. Die Rezensionen über dieses Lied sind spärlich. Heinrich Schütz soll es auch neuvertont haben. Allein es fehlt mir der Erweis. Auch im Internet ist kein wikipedia-Eintrag festzustellen. Das neue römisch-katholische Einheitsgesangbuch „Gotteslob“ hat es verbannt. Im Gotteslob 1975 steht es im Stammteil unter der Nr. 705 mit einer Textänderung in der ersten Strophe: „Hinunter ist der Sonne Schein …“ Auch das EG unter der Nr. 467 folgt dieser Textvariante. Nach dem Lied ist dort auch der vierstimmige Satz von Vulpius veröffentlicht.

1. Hinunter ist der Sonnenschein,
Die finstre Nacht bricht stark herein;
Leucht uns, Herr Christ, du wahres Licht,
Laß uns im Finstern tappen nicht!

2. Dir sei Dank, daß du uns den Tag
Vor Schaden, G’fahr und mancher Plag‘
Durch deine Engel hast behüt’t
Aus Gnad‘ und väterlicher Güt‘.

3. Womit wir hab’n erzürnet dich,
Dasselb‘ verzeih uns gnädiglich
Und rechn‘ es unsrer Seel‘ nicht zu,
Laß uns schlafen mit Fried‘ und Ruh‘!

4. Durch dein‘ Engel die Wach‘ bestell,
Daß uns der böse Feind nicht fäll‘;
Vor Schrecken, G’spenst und Feuersnot
Behüt uns heint, o lieber Gott!

Im Gotteslob und EG endet die letzte Strophe:

Vor Schrecken, Angst und Feuersnot
behüte uns, o lieber Gott.

Dieser Schluss ist etwas gefälliger. Das ganze Lied klingt wie ein vertontes Abendgebet. Es erinnert mich an die Gebete meiner Kindheit, als wir vor dem Bettchen und dem großen Kreuz knieten, welches über der Schlafstätte angebracht war. Dabei war auch immer ein Schutzengelgebet. Das ganze Lied macht den Eindruck, dass hier zumindest ansatzweise solch ein katholisches Schutzengelgebet Pate gestanden hat für dieses lutherische Abendgebet.

Hl. Schutzengel mein,
lass mich Dir empfohlen sein.
In allen Nöten steh mir bei
und halte mich von Sünden frei.

In dieser Nacht, ich bitte Dich,
beschütze und bewahre mich. Amen.

Heute sehe ich das Lied im Kontext der liturgischen Texte der vergangenen 3. Sonntags im Jahreskreis (Lesejahr A), die uns auch explizit noch einmal auf die Weihnachtszeit verweisen:

Das Volk, das im Dunkel lebt,
sieht ein helles Licht;
über denen, die im Land der Finsternis wohnen,
strahlt ein Licht auf. (Jes 9,1)

Und im Evangelium heißt es:

Das Volk, das im Dunkel lebte,
hat ein helles Licht gesehen;
denen, die im Schattenreich des Todes wohnten,
ist ein Licht erschienen.
Von da an begann Jesus zu verkünden:
Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. (Mt 4,16.17)

Jesus Christus ist das Licht, das auch heute durch seine Nachfolger in der Welt leuchtet. Manchmal aber scheint es, als ob die Flamme erstickt würde in den Alltagssorgen, politischen und wirtschaftlichen Irrungen und Wirrungen. Die Dunkelheit in der Welt nimmt zu.

Und dabei sollte uns doch die Klarheit und Wahrheit des Herrn umleuchten. Statt dessen ist es die Finsternis der Unvernunft und der Unbarmherzigkeit.

Ich glaube nicht an einen Geist des Bösen, der personifiziert außerhalb der menschlichen Person existiert. Auch wenn viele meinen: Wenn es Engel gibt, muss es auch ein Pendant dazu geben. Nein, denn es gibt ja auch kein Pendant zum Menschen. Im Menschen ist das Gute und das Böse angelegt. Die Macht des Bösen ist aber stärker als das Licht. Immer wieder bricht es tiefe Schneisen in den Kreislauf des Lebens.

In letzter Zeit frage ich mich: Widersage ich dem Bösen wirklich, um in der Freiheit der Kinder Gottes zu leben? Oder ist das nur ein Lippenbekenntnis, das meine Eltern für mich bei der Taufe und ich dann bei der Firmung spreche(n)? Jesus zu folgen, heißt den allzu verlockenden Parolen – auch den populistischen – zu widersagen. Nächstenliebe ist keine Theorie. Jesus fordert die Praxis: Kehrt um! Das Himmelreich (nicht irgend ein Menschenreich) ist nahe!

O bleib bei uns, Herr, denn es will Abend werden.

Revisited: O Haupt voll Blut und Wunden

Vor knapp zwei Jahren habe ich eine kleine Rezension über das wohl bekannteste und beliebteste Passionslied der heutigen Zeit geschrieben: O Haupt voll Blut und Wunden. Was soll ich sagen: Irgendwer von den Machern des neuen „Gotteslobes“ muss diesen Artikel gelesen haben. Im neuen GL Nr. 289:

Die zweite Strophe wird jetzt im Original wiedergegeben:

2.
Du edles Angesichte,
Davor sonst schrickt und scheut
Das große Weltgewichte,
Wie bist du so bespeit!
Wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
Dem sonst kein Licht nicht gleichet,
So schändlich zugericht’t?

Als 5. Strophe fügt das neue im Vergleich zum alten „Gotteslob“ ein:

6. (Originalstrophe)
Ich will hier bei dir stehen,
Verachte mich doch nicht!
Von dir will ich nicht gehen,
Wenn dir dein Herze bricht;
Wenn dein Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstoß,
Alsdann will ich dich fassen
In meinen Arm und Schoß.

Danach geht es wie im alten „Gotteslob“ mit den Strophen 8 bis 10 im Original weiter. Ja, das neue „Gotteslob“ wartet mit einigen interessanten Überraschungen auf, textlich wie auch melodiös. Da werd‘ ich wohl in nächster Zeit einige meiner Artikel visitieren müssen.

 

Die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute

71370320Der Papst schreibt zum Ende des Jahres des Glaubens an die Bischöfe, an die Geweihten und alle Christgläubigen ein Apostolisches Schreiben, keine Enzyklika aber ein Schriftstück, dass sein Programm sein könnte. Papst Franziskus schreibt: „Ich weiß sehr wohl, dass heute die Dokumente nicht dasselbe Interesse wecken wie zu anderen Zeiten und schnell vergessen werden. Trotzdem betone ich, dass das, was ich hier zu sagen beabsichtige, eine programmatische Bedeutung hat und wichtige Konsequenzen beinhaltet. Ich hoffe, dass alle Gemeinschaften dafür sorgen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um auf dem Weg einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung voranzuschreiten, der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind.“ Meiner Meinung ist es aber ein erster Ausdruck dessen, wovon der Papst träumt, wie er sich die Kirche von heute in einer Welt von heute vorstellt.

Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient.“ Papst Franziskus will deutlich machen, dass die kirchliche Erneuerung unaufschiebbar ist. Er will Traditionen durchleuchten und das Gute bewahren, mahnt aber zugleich Neuerungen an, die auf eine Einheit in Vielfalt hinauslaufen.

Einige Sätze haben Seltenheitswert, wenn sie überhaupt jemals in päpstlichen Dokumenten auftauchen: „Ich glaube auch nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen. Es ist nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen. In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen „Dezentralisierung“ voranzuschreiten.“ Und das dürfte den ewig Traditionellen ein weiterer Dorn im Auge und keinesfalls eine „Freude“ sein, wie Herr Alipius in seinem bekannten Blog sarkastisch pastoral schlussfolgert: „JAAAAA! Gewonnen! Der Papst will sich künftig ÜBERALL und IMMER und AUS ALLEM heraushalten!“ Nicht nur die Kommentargeier sondern deren Meinung nach die Medien haben sich schon auf diese Stelle gestürzt.

Meine Nachrichtenqellen (dpa und AFP) beschäftigen sich differenzierter mit dem Schreiben: „Die Lehrschrift «Evangelii Gaudium» (Freude des Evangeliums) zum Abschluss des Jahres des Glaubens gilt als wegweisend und grundlegend für das Pontifikat von Franziskus. Er wendet sich damit an die Bischöfe und Priester, aber auch an alle Gläubigen. Das erste Dokument, das der Papst seit seinem Amtsantritt alleine verfasst hat, verdeutlicht eine Reihe seiner Haltungen zu heiklen Fragen.“ (dpa) Der Papst wagt sich auch an eine Kapitalismuskritik: „«In der Wurzel ungerecht» nennt er das aktuelle ökonomische System. Diese Form der Wirtschaft töte, denn in ihr herrsche das Gesetz des Stärkeren. Der Mensch sei nur noch als Konsument gefragt, und wer das nicht leisten könne, der werde nicht mehr bloß ausgebeutet, sondern ausgeschlossen, weggeworfen. Die Ausgeschlossenen seien nicht Ausgebeutete, sondern «Müll, Abfall». Die Welt lebe in einer neuen Tyrannei des «vergötterten Marktes».“ (dpa)

Euronews decken sich nicht mit der Meinung der Tradtionellen: „Auch Franziskus will keine Priesterinnen“. Und aus dem einfachen Schreiben, wird gleich ein „Apostolisches Lehrschreiben“, das texten auch dpa, AFP u.a. Und Euronews kommentieren: „Der Papst bemüht sich um Kontinuität zu seinem Vorgänger…“

Im Zentrum der Schrift steht die Verkündigung und zwar in Form der Homilie: „Der Prediger muss auch ein Ohr beim Volk haben, um herauszufinden, was für die Gläubigen zu hören notwendig ist.“ Klingt ein bisschen nach Luthers Forderung, dass man dem „Volk aufs Maul“ schauen müsse.

Die Kirche muss sich der Armen annehmen, als arme und demütige Gemeinschaft. „Klein aber stark in der Liebe Gottes wie der heilige Franziskus, sind wir als Christen alle berufen, uns der Schwäche des Volkes und der Welt, in der wir leben, anzunehmen.

Über das, was der Papst als „spirituelle Weltlichkeit“ bezeichnet, müssen wir in der kommenden Zeit gesondert nachdenken: „Die spirituelle Weltlichkeit, die sich hinter dem Anschein der Religiosität und sogar der Liebe zur Kirche verbirgt, besteht darin, anstatt die Ehre des Herrn die menschliche Ehre und das persönliche Wohlergehen zu suchen. Es ist das, was der Herr den Pharisäern vorwarf: »Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander empfangt, nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt? « (Joh 5,44). Es handelt sich um eine subtile Art, » den eigenen Vorteil, nicht die Sache Jesu Christi « zu suchen (Phil 2,21). Sie nimmt viele Formen an, je nach dem Naturell des Menschen und der Lage, in die sie eindringt. Da sie an die Suche des Anscheins gebunden ist, geht sie nicht immer mit öffentlichen Sünden einher, und äußerlich erscheint alles korrekt. Doch wenn diese Mentalität auf die Kirche übergreifen würde, » wäre das unendlich viel verheerender als jede andere bloß moralische Weltlichkeit «. (Henry De Lubac, Méditation sur l’Église, Paris 1953. Éditions Montaigne, Lyon 1968, S.321.)

Moonrise Kingdom und Le Temps De L’amour

Ein Song, der die Abenteuerlust weckt. So schreibt es jemand in den Kommentaren zu dieser Kompilation von Filmszenen aus Moonrise Kingdom. Und ein anderer: „This song seriously makes me want to go out to the beach and have wonderful adventures with a special someone.“ Hm, … das brauch‘ ich wohl nicht zu übersetzen. Und es ist ja auch nachvollziehbar.

Hab‘ mir vor kurzem die kürzlich erschienene DVD „Moonrise Kingdom“ angesehen. [Zweimal „kurz“ in einem Satz … aber es ist so …] Normalerweise mache ich das nicht und warte erst bis die DVD preisgünstiger wird. Aber auf diesen geheimen Sommerhit habe ich schon Wochen gewartet. Die Thüringer Kinos haben ihn ja erfolgreich ignoriert. Mainstream verkauft sich eben besser als Indi.

Für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene, die noch Träume haben, sehr empfehlenswert. Und weil der Film auch recht KURZ ist (90 Min.), kommt keine Langeweile auf. Endlich auch mal wieder ein Film, bei dem der Soundtrack mit Bedacht ausgesucht wurde und die Stimmung des Films auf besondere Art und Weise begleitet und seine Wirkung verstärkt. Wie bei jedem guten Film sollte man den Abspann bis zum Ende schauen. Prost, Gemeinde: „Ich geh‘ hinters Haus und such‘ mir ’nen Baum, den ich umhacken kann.“

Nachtrag: Finde es bescheuert, dass Videos nach ein paar Monaten wegen Urheberrechtsbeschwerden entfernt werden. Deshalb habe ich am 4.10.2017 den youtube-Link geändert.

Wer kommt denn aus Hürth?

Manche meinen, dass das neue Album der Wise Guys ziemlich kommerziell daherkommt.  Nun ja, der Versuch die Album-Charts zu stürmen und auf Platz 1 zu landen, ist natürlich mit vielem Kommerzgebändel verbunden. Dennoch ist es immer noch standhaft, allein auf a-cappella-Musik zu setzen, in Gegensatz zu den „Prinzen„. Recht witzig finde ich auch das neue Video. Schade nur, Ferenc, warum so plötzlich nach Nils seinem Einstieg? Wer geht als Nächster? Das fragt man sich doch unwillkürlich?! Echt schade, aber … ein wenig nachvollziehbar … man wird ja nicht jünger … Und dann die ewigen Witze der Kollegen 😉 Ich würde mich als Bass bewerben, aber ich habe schon einen Job, der meine ganze Aufmerksamkeit und den vollen Kampfeswillen erfordert, jeden Tag neu zu beginnen. Außerdem ist meine Stimme mit den Jahren auch nicht besser geworden. Wie schon gesagt: Man wird nicht jünger …

Man Leute, was ist Hürth? Hier noch ein Nachtrag, der ein wenig Licht ins Dunkel bringt:

Spieglein, Spieglein an der Wand

Auch wenn es immer heißt, die Kinder heute würden keine Märchen mehr kennen, diese Story hat wohl jeder schon einmal gehört: Eine böse, schönheitssüchtige, egomanische Königin und ein herzensgutes, ewig-schönes Schneewittchen (wobei nicht ganz klar wird, in welchem verwandschaftlichen Verhältnis die beiden zueinander stehen). Dann ist da noch der Jägersmann, die sieben Zwerge und der schöne Prinz. Eine traumhafte Geschichte, die auch bei den Gebrüdern Grimm eine besondere Fassung erhält. Das Neueste ist jedoch der Film zum Märchen, der dramatisch noch einmal aufgepeppt wurde und sozial-korrekt mit einer gesellschaftlichen Konnotation versehen sicher auch eine Liebesgeschichte beinhaltet. Schneewitchen wird dabei zur Jeanne d’Arc hochstilisiert. Die böse Königin trägt in sich verschiedene Zitate. Wenn ich mir den Trailer anschaue, so kommen da auch die Dementoren aus Harry Potter zu Ehren, wenn auch die Funktion des Aussaugens der Lebenskraft und Schönheit nicht unbedingt die Funktion der Kreaturen ist. Auf alle Fälle ist sie die Verkörperung des absoluten Bösen – Star Wars: die dunkle Seite der Macht. Meanstreamkino vom feinsten, aber vom Tricktechnischen und der Dramaturgie her ein fesselnder Unterhaltungsfilm: Snow White and the Huntsman. Btw.: Wenn man solch einen Jägersmann hat, braucht man natürlich keinen Prinzen.

Der Sommer kommt

… bestimmt irgendwann. Und da ich mich jetzt schon unbändig nach der warmen Jahreszeit sehne, fiel mir vor einigen Tagen ein Lied in den Kopf, das nicht im allgemeinen Teil des katholischen Gesangbuchs „Gotteslob“ steht. Aber es ist, Gott lob, von meinem sehr verehrten Liederdichter Paul Gerhardt; und aufgenommen in den Bistumsteil Erfurt:

Geh aus, mein Herz, und suche Freud

1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud

in dieser lieben Sommerzeit

an deines Gottes Gaben;

Schau an der schönen Gärten Zier,

und siehe, wie sie mir und dir

sich ausgeschmücket haben.

Paul Gerhardt schreibt dieses Gedicht als ein Geistliches Sommerlied. Es wird 1653 in der fünften Auflage des Gesangbuchs Praxis Pietatis Melica veröffentlicht, einem damals weitverbreiteten Evangelischen Gesangbuch. Dieses Buch ist eine Sammlung verschiedener Dichtungen und Kompositionen, von Martin Luther, „wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger, und Reiner Evangelischer Lehre Bekenner“ (so konnte man es noch 1721 auf dem Titelblatt der 49. Auflage lesen). Die Liedersammlung ist gedacht „zur Beförderung des sowohl Kirchen- als auch Privatgottesdienstes“ als „Übung der Gottseeligkeit“ – heute würde man sagen: als Andachts- oder Gebetsbüchlein in allen Lebenslagen. Schließlich heißt es ja: Wer singt betet doppelt.

Das scheint sich die evangelische Kirchenmusik ins Herz geschrieben zu haben. Haben wir bis heute – nicht nur vom 5. Evangelisten Joh. Seb. Bach – sondern von verschiedenen Dichtern und Komponisten reichhaltige Kantaten- und Oratorien- und Liederschätze. So erging es auch diesem Gedicht von Paul Gerhardt: Der Liedtext wurde im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte immer wieder mit verschiedenen Melodien verknüpft. Paul Gerhardt selbst veröffentlichte ihn zunächst zu der Melodie des Liedes „Den Herrn meine Seel erhebt“. Die bekannteste Melodie stammt von August Harder (1775–1813). Sie wurde dem Gerhardtschen Text erstmals 1836 von dem Organisten Friedrich Eickhoff (1807–1886) unterlegt. Das problematische an dieser Fassung ist jedoch, dass die Melodie eine Wiederholung der letzten Textzeile einer jeden Strophe verlangt, wodurch häufig Textzeilen von geringer Wichtigkeit ein zu starkes Gewicht bekommen.

Dennoch: Der beschwingte, fröhliche Ton der Melodie passt jedoch sehr gut zum Charakter des Gerhardtschen Textes und trug sehr zur Beliebtheit des Liedes als Natur- und Wanderlied bei. Diese Melodie liegt sowohl der Fassung im heutigen EG als auch der Fassung im GL-Anhang zugrunde.

2. Die Bäume stehen voller Laub,

das Erdreich decket seinen Staub

mit einem grünen Kleide.

Narzissus und die Tulipan,

die ziehen sich viel schöner an,

als Salomonis Seide.

 

 

 

3. Die Lerche schwingt sich in die Luft,

das Täublein fliegt aus seiner Kluft

und macht sich in die Wälder,

Die hochbegabte Nachtigall

ergötzt und füllt mit ihrem Schall

Berg, Hügel, Tal und Felder.

4. Ich selber kann und mag nicht ruhn,

des großen Gottes großes Tun

erweckt mir alle Sinnen:

Ich singe mit, wenn alles singt,

und lasse, was dem Höchsten klingt,

aus meinem Herzen rinnen.

Viele Abdrucke des Textes beschränken sich auf die Auswahl der Strophen 1–3 und 8 der Originalfassung. Also der Strophen, die wir bis jetzt gesungen haben. In dieser Form verselbständigte sich das Lied zum Volkslied. Der Erfurter Anhang des Gotteslobes fügt dieser Fassung noch 4 nachfolgende Strophen an. Der aber viel weiter ausholende Liedtext umfasst im Original 15 Strophen. Trotzdem lassen sich die von Gerhardt intendierten Abschnitte gut erkennen: Im ersten Teil steht die Betrachtung der Natur als „des großen Gottes großes Tun“ (Strophe 4 bzw 8) und die Bewunderung ihrer Schönheit im Vordergrund.

Der zweite Teil handelt von der Vorahnung, dass der himmlische Garten die irdische Schönheit nochmals überstrahlen werde.

Die Schlussstrophen leiten aus dem Vorangegangenen die Bitte ab, zur Vollendung zu gelangen. Der Weg dorthin wird in Bildern aus der Natur veranschaulicht: „… dass ich dir werd ein guter Baum“, „Verleihe, daß zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben“ (7 bzw. 14) sowie „laß mich bis zur letzten Reis an Leib und Seele grünen“ (8 bzw. 15).

Verweilen wir noch ein bisschen bei den ersten Strophen. Wer möchte dies nicht erkennen. Es grünt und blüht aller Orten. Wenn auch der Winter dieses Jahr nicht so hart ausgefallen ist, wie vermutet, so ist es doch befreiend, dass er sich „zurückgezogen hat in seiner Schwäche“. In der heutigen Zeit tun wir solche Naturbetrachtungen oftmals als Zeitverschwendung und romantisierenden Kitsch ab. Auch ich als Stadtmensch reduziere das oft und übrig bleibt nur noch die alte norddeutsche Affinität, stundenlang ernsthaft über das Wetter zu reden. Und geht die Rede weiter, so diskutiert man über die Klimaveränderungen. Und weiter: Dass früher alles besser war.

Eine Parodie des Liedes mit der Jahresangabe 1996 und anonymen Verfasser führt das ganze auf die Spitze:

1.Geh aus, mein Herz, und suche nur! Du findest nicht mehr die Natur

in ihrem schönen Kleide. Der Smog verdeckt das Himmelreich,

die Flüsse sind Kloaken gleich, verschmutzt sind Wald und Heide.

2. Müllhalden brennen Tag und Nacht, dahin ist unserer Seen Pracht,

vorbei des Waldes Schweigen. Die Luft ist schwer und voll Gestank,

der Lärm macht viele Menschen krank. Groß ist des Todes Reigen.

3. Wohin man schaut: Natur in Not! Millionen leben ohne Brot

und haben Angst vor Kriegen. Die Technik wird uns zur Gefahr,

man rüstet auf von Jahr zu Jahr, doch niemand mehr wird siegen.

Dieser Rede hat sich Paul Gerhardt sicher nicht hingegeben, wohl auch, weil dass kein Thema in seiner Zeit war. Offen und ehrlich beschreibt er die Schöpfung in der Sommerzeit. Dabei verweist er voller Stolz auf den Urheber und Geber all dieser Gaben, an denen wir uns erfreuen dürfen und sollen, auch und trotz all der ökologischen, ökonomischen oder sozialer Sünden, die der Mensch begangen hat.

5. Welch hohe Lust, welch heller Schein

wird wohl in Christi Garten sein?

wie muß es da wohl klingen,

Da so viel tausend Seraphim

mit eingestimmtem Mund und Stimm

ihr Halleluja singen?

6. Hilf mir und segne meinen Geist

mit Segen, der vom Himmel fleußt,

dass ich dir stetig blühe!

Gib, dass der Sommer deiner Gnad

in meiner Seelen früh und spat

viel Glaubensfrüchte ziehe.

(viel Glaubensfrücht erziehe)

Vom zweiten Teil, der den himmlischen Garten als eine Vision erscheinen lässt, die den irdischen Glanz und die vergängliche Schönheit der Natur bei weitem überstrahlt, ist uns nur diese 6. Strophe geblieben. Wer denkt da nicht gleich an den Garten, den uns Gen 2,8 und fortfolgende beschreibt. Er wird als Garten in Eden, im Osten beschrieben, der alles enthält, was der Mensch zum Leben braucht und ihn erfreut. Ein Paradies ebenso wie ein Schlaraffenland vermutlich. Ein Traum und ein Alptraum für manche Menschen wohl zugleich. Das ist das, was wir allgemein als Himmelreich Gottes bezeichnen, auch wenn jeder so seine eigenen Vorstellungen von diesem Ort oder Zustand hat. Ein Ort an dem Jesajas Vorstellungen vom Gastmahl im Reich Gottes wahr wird.

„Der Herr der Heere wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den besten und feinsten Speisen, mit besten, erlesenen Weinen.“ (Jes 25,6) Ein Bild das uns hier gemalt wird, kein Bild eines alltäglichen Sättigungsmahles, wie es in unseren Breiten schon selbstverständlich geworden ist, vielmehr ein Bild der Vollendung und Fülle, deren Freuden wir heute schon vorkosten können. Paul Gerhardt liefert uns hierzu die Bedingungen, wie man an diesen Ort gelangen kann.

7. Mach in mir deinem Geiste Raum,

dass ich dir werd ein guter Baum,

und lass mich Wurzel treiben (wohl bekleiben)

Verleihe, dass zu deinem Ruhm

ich deines Gartens schöne Blum

und Pflanze möge bleiben.

 

 

 

8. Erwähle mich zum Paradeis

und lass mich bis zur letzten Reis’

an Leib und Seele grünen:

So will ich dir und deiner Ehr

allein, und sonsten keinem mehr,

hier und dort ewig dienen.

Der Geist ist Gottes liebender und alles belebender Geist, der mich treiben soll, wie ein guter Baum feste Wurzeln im Glauben zu schlagen. Dieses Bild vom „Bleiben“ („dass zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben“) erinnert mich sehr stark an das „Bleiben“, das Jesus meint, wenn er sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Joh 15,5) Ein sehr starkes Bild welches oft in der Erstkommunionkatechese verwendet wird. Ein Bild von einem anderen Garten, vom Weinstock, der viele Reben hat. Die Reben sind Jesu Jünger und all jene, die es werden wollen. Mit dem Bild des Weinstocks und den Reben kann ich gut in dieser heutigen Zeit, in dieser Gesellschaft leben. Auch wenn unsere Gesellschaft immer weniger christlich beeinflusst zu sein scheint, werde ich die Menschen in meiner Umgebung fragen, aus welchen Quellen sie leben, und eventuell mit ihnen über die Früchte diskutieren, die ihr und mein Glaube oder Nicht-Glaube hervorbringt.

Was ich am Christentum schätze und in einer gegenwärtigen Wertediskussion nicht vermissen möchte, ist die Wertschätzung jedes menschlichen Lebens aufgrund der Personwürde jedes Einzelnen. Welchen Platz räumen wir in unserer Gesellschaft Behinderten, Kranken, Alten, Minderbegabten (was auch immer von Fall zu Fall darunter verstanden wird) ein? Der Glaube an einen liebenden Schöpfer verlangt mir Ehrfurcht ab vor allem, was da ist. Er verlangt von mir auf Verhaltensweisen zu verzichten, die für die Zukunft der Schöpfung schädlich sind. Zugleich ist der christliche Gottesglaube für mich die Grundlage jeder Form von Gerechtigkeit und gerechter Verteilung der Lebensgüter.

Europäische Staaten stellen sich neben der allgemeinen Wertefrage, die zwar mit der Wirtschafts- und Finanzkrise etwas in den Hintergrund gerät, stellen sich die Frage, wie viel Christentum wir heute brauchen. Sicher bringen auch andere Religionen gute Früchte hervor. Ich erinnere da nur an Mahatma Ghandi, dennoch muss ich als Christ darauf antworten: Menschen, die durch Christus mit Gott verbunden sind und aus dieser Verbindung heraus ihr Leben gestalten, können nie zu viele sein. Denn aus ihrem Glauben und ihrem Tun werden die Früchte hervorgebracht, die in der Gegenwart geschätzt sein werden und die auch für die Ewigkeit erhalten bleiben. „So will ich dir und deiner Ehr allein, und sonsten keinem mehr, hier und dort ewig dienen.“ Auch wenn die Bilder, die uns Paul Gerhardt malt, in der heutigen Zeit nicht mehr so ganz originell und etwas kitschig erscheinen. Das In-Christus-Bleiben ist heute aktuell wie zu Paulus Zeiten. „Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“

O Haupt voll Blut und Wunden

Es ist das Passionslied schlechthin. Paul Gerhardt (1607-1676) überträgt den lateinischen Hymnus Salve caput cruentatum“, der heute Arnulf von Löwen (1200–1250) zugeschrieben wird, 1656 im letzten Jahr seiner Amtszeit als Propst in Mittenwalde ins Deutsche. Lange Zeit hielt man Bernhard von Clairvaux (um 1090–1153) für den Verfasser dieses Gedichtes. Es ist Teil eines überlieferten Zyklus von sieben Meditationen zu den Gliedmaßen des Gekreuzigten, der im 17. Jahrhundert noch unter dem Titel Domini Bernhardi Oratio Rhythmica bekannt ist. Im Mittelalter ein sehr beliebtes Frömmigkeitsmotiv. Auch Buxtehudes „Membra Jesu Nostri“ liegt dieses Gedicht zugrunde.

Die Melodie war Gerhardt bekannt und lehnt sich an das Madrigal „Mein G’müt ist mir verwirret von Hans Leo Haßler (1564–1612) an. Die Melodie dieses 1601 herausgegebenen Liebesliedes fand schon 1613 Verwendung für die Vertonung des Sterbeliedes „Herzlich tut mich verlangen“. Johann Crüger, Organist und Freund Gerhardts, wird die Melodievereinfachung zugeschrieben.

Johann Sebastian Bach (1685–1750) verwendet in der Matthäuspassion (BWV 244) die ersten zwei der im Evangelischen Gesangsbuch (EG) unter der Nummer 85 abgedruckten Strophen, und in der Kantate „Sehet! Wir gehn hinauf gen Jerusalem“ (BWV 159) die sechste Strophe. Die Melodie erscheint außerdem in Bachs Weihnachtsoratorium zu Paul Gerhardts Text „Wie soll ich dich empfangen„, dem ersten Choral in Teil I (Nr. 5) und zu „Nun seid ihr wohl gerochen„, dem Schlusschor von Teil VI. Im Gotteslob (GL) finden wir unter der Nummer 179 sieben von zehn Strophen mit teilweise geändertem Text.

Wie schon erwähnt ist das Lied eines der schönsten Leidenslieder, die uns die Gesangbücher anbieten. Noch einiges dazu, was mir der Text bedeutet, was er mir sagt: Aus der tiefen mittelalterlichen Christusfrömmigkeit entstanden, die in den Leiden Christi seine Größe verehrte, zeigt das Lied seine wahre Menschheit. Es ist diese Diskrepanz zwischen innerer Größe und der äußeren Erniedrigung bis hin zum Tod. In ein schönes Gesicht blickt man gern. Wie von Strahlen umgeben kann uns manches Gesicht erscheinen. Und so wird das Antlitz Jesu auch oft dargestellt. Auf seinem Leidensweg aber ist sein Aussehen geprägt von den Zeichen der Grausamkeit und des Todes.

Schnell wird mir klar, dass Jesus auch für mich gelitten hat (siehe Strophe 4). Die Sünde, die eigene Schuld, wird heute mehr und mehr verdrängt. Es sind die Umstände, die Erziehung und die Gesellschaft und überhaupt immer die anderen. Wenn keine Ausrede mehr zieht, ist es eine psychische Erkrankung, deren Ursache man sich nicht erklären kann. Das eigene Versagen und die Stimme des Gewissens sind nur mehr Einredungen der katholischen Lehre. Viele Menschen meinen, die Sünde hat doch gar keinen Sitz im Leben mehr, es sei denn man ist Politiker und tut etwas, was man auch gerne machen würde oder bereits schon macht, aber Politikern oder generell anderen Menschen nicht gönnt.

Die Betrachtung aber geht weiter: Im Sterben Jesu, durch seinen Tod, zeigt sich die Liebe Gottes zu uns Sterblichen in der höchsten Vollendung. Das sollten wir uns immer bewusst machen, denn wir stehen in Christi Nachfolge. Wir sollen aus dieser Liebe heraus leben und letztlich auch so im Herrn sterben können. „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, spricht der Geist, sie sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ (LUT Offb 14,13)

1.
O Haupt voll Blut und Wunden,
Voll Schmerz und voller Hohn,
O Haupt, zum Spott gebunden
Mit einer Dornenkron’,
O Haupt, sonst schön gezieret
Mit höchster Ehr’ und Zier,
Jetzt aber hoch schimpfieret:
Gegrüßet sei’st du mir!

Hier nimmt das Gotteslob eine Korrektur vor. Um die Dopplung in den Zeilen 5 und 6 zu vermeiden, heißt es dort:
O Haupt, sonst schön gekrönet
mit höchster Ehr und Zier, …
Und damit der Reim nicht auf der Strecke bleibt:
… jetzt aber frech verhöhnet …

2.
Du edles Angesichte,
Davor sonst schrickt und scheut
Das große Weltgewichte,
Wie bist du so bespeit!
Wie bist du so erbleichet!
Wer hat dein Augenlicht,
Dem sonst kein Licht nicht gleichet,
So schändlich zugericht’t?

Hier macht das Gotteslob eine ziemlich harte Korrektur, die die ersten 4 Zeilen z.T. auch in ihrem Sinn entstellt:
Du edles Angesichte,
vor dem sonst alle Welt
erzittert im Gerichte,
wie bist du so entstellt …

3.
Die Farbe deiner Wangen,
Der roten Lippen Pracht
Ist hin und ganz vergangen;
Des blassen Todes Macht
Hat alles hingenommen,
Hat alles hingerafft,
Und daher bist du kommen
Von deines Leibes Kraft.

4.
Nun, was du, Herr, erduldet,
Ist alles meine Last;
Ich hab’ es selbst verschuldet,
Was du getragen hast.
Schau her, hier steh’ ich Armer,
Der Zorn verdienet hat;
Gib mir, o mein Erbarmer,
Den Anblick deiner Gnad’!

Hier auch wieder einige kleine Korrekturen:
Was du, Herr, hast erduldet,

ich, ich hab es verschuldet …

Die folgenden Strophen sind nicht in’s Gotteslob aufgenommen worden:

5.
Erkenne mich, mein Hüter,
Mein Hirte, nimm mich an!
Von dir, Quell aller Güter,
Ist mir viel Gut’s getan.
Dein Mund hat mich gelabet
Mit Milch und süßer Kost;
Dein Geist hat mich begabet
Mit mancher Himmelslust.

6.
Ich will hier bei dir stehen,
Verachte mich doch nicht!
Von dir will ich nicht gehen,
Wenn dir dein Herze bricht;
Wenn dein Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstoß,
Alsdann will ich dich fassen
In meinen Arm und Schoß.

7.
Es dient zu meinen Freuden
Und kommt mir herzlich wohl,
Wenn ich in deinem Leiden,
Mein Heil, mich finden soll.
Ach, möcht’ ich, o mein Leben,
An deinem Kreuze hier
Mein Leben von mir geben,
Wie wohl geschähe mir!

Jetzt hält sich das Gotteslob an den weiteren Text:

8.
Ich danke dir von Herzen,
O Jesu, liebster Freund,
Für deines Todes Schmerzen,
Da du’s so gut gemeint.
Ach gib, daß ich mich halte
Zu dir und deiner Treu’
Und, wenn ich nun erkalte,
In dir mein Ende sei!

9.
Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir;
Wenn ich den Tod soll leiden,
So tritt du dann herfür;
Wenn mir am allerbängsten
Wird um das Herze sein,
So reiß mich aus den Ängsten
Kraft deiner Angst und Pein!

10.
Erscheine mir zum Schilde,
Zum Trost in meinem Tod,
Und lass mich sehn dein Bilde
In deiner Kreuzesnot!
Da will ich nach dir blicken,
Da will ich glaubensvoll
Dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Cantique de Jean Racine

Schon vor einiger Zeit fand ich im wwweb ein „Liedchen“. Es steht diesmal ausnahmsweise nicht im „Gotteslob“. Seine Melodie ist schlicht und hat mich dennoch sehr stark verzaubert. Allzu viel kann man nicht über dieses Cantique sagen: Komponiert vom 19-jährigen Gabriel Fauré auf einen Text von Jean Racine, einem französischen Dichter und Schriftsteller des 19. 17. Jahrhunderts, den Fauré sehr verehrte. Racine seinerseits hat einen mittelalterlichen Hymnus, der wohl zu einer Hore des kirchlichen Stundengebets gesungen wurde (am frühen Morgen – Matutin), ins Französische übersetzt. Zu Ehren Racines blieb der Arbeitstitel, den Fauré dem Cantique gab, stehen, sagt aber nichts weiter über den Inhalt.

Französicher Original-Text Deutsche Übersetzung
Verbe égal au Très-Haut, notre unique espérance,
Jour éternel de la terre et des cieux,
De la paisible nuit nous rompons le silence:
Divin Sauveur, jette sur nous les yeux!
Wort, dem Höchsten gleich, unsere einzige Hoffnung,
Ewiges Licht der Erde und des Himmels,
Wir brechen die Stille der friedlichen Nacht:
Göttlicher Erlöser, lass Deine Augen auf uns sehen!
Répands sur nous le feu de ta grâce puissante;
Que tout l’enfer fuie au son de ta voix;
Dissipe le sommeil d’une âme languissante,
Qui la conduit à l’oubli de tes lois!
Gieße über uns aus Deiner mächtigen Gnade Feuer;
Die ganze Hölle fliehe beim Klang Deiner Stimme;
Vertreibe den Schlaf einer matten Seele,
Der sie dazu bringt, Deine Gesetze zu vergessen!
O Christ, sois favorable à ce peuple fidèle
Pour te bénir maintenant rassemblé;
Reçois les chants qu’il offre à ta gloire immortelle;
Et de tes dons qu’il retourne comblé!
O Christus, sei diesem treuen Volk gewogen,
das nun zu Deinem Lobe versammelt ist;
Nimm die Lieder an, die es zu Deinem unsterblichen Ruhm darbringt;
Und möge es zurückkehren erfüllt von Deinen Gaben!

Die deutsche Übertsetzung ist nicht einfach.  CPDL.org bietet folgende dichterische Variante:

Wort aus Gott vor der Zeit, du Anfang ohne Ende,
das alles schuf und durchdringt und belebt,
zum Lobpreis deiner Macht erheben wir die Hände,
vor dessen Größe alles Sein erbebt.

Ergieß auf uns das Feuer der göttlichen Gnade,
dass Nacht und Schuld vor deiner Stimme fliehn,
und lass nicht zu, dass wir, verirrt auf dunklem Pfade,
uns deinem heiligen Willen entziehn.

Du Quelle aller Weisheit, schenk Liebe und Glauben,
wenn wir vereint deine Gaben erflehn,
und was uns eigne Torheit und Herzenshärte rauben,
lass unterm Strahl deiner Wahrheit erstehn. (Peter Gerloff)

Wie dem auch immer. Das Liedchen hat etwas von der Ruhe und Schlichtheit des später entstandenen Requiems. Im wwweb finden sich die unterschiedlichsten Varianten. Mit Längen von 4 bis 6:30 min. Ich bevorzuge eigentlich ein moderates Tempo, aber die vorliegende Aufnahme mit dem Choir of St John’s College ist wirklich recht gut mit schönen Bildern.

Maria durch ein Dornwald ging

Eines der schönsten Weihnachtslieder. Es entstand im Eichsfeld. Ursprünglich ein Wallfahrtslied wurde es durch die Jugendbewegung in den 20-er Jahres des vergangenen Jahrhunderts populär. Die Liederbücher dieser Bewegung in dieser Zeit machten es zu einem vermeintlich volkstümlichen Weihnachtslied. Es ist ein kurzes, schlichtes Lied, dessen Inhalt auch ganz kurz benannt werden kann: In der heutigen dreistrophigen Version erzählt es die Begegnung Marias mit Elisabeth (Lk 1,39-56). Es ist verknüpft mit dem Legendenbild des Dornwaldes, der für die Unfruchtbarkeit, die Menschenfeindlichkeit und den Tod steht. Beim Vorübergang Marias beginnt er zu blühen und fängt an zu leben.

Maria durch ein Dornwald ging,
Kyrie-eleis
Maria durch ein Dornwald ging,
der hat in sieb´n Jahr kein Laub getragen.
Jesus und Maria

Was trug Maria unterm Herzen?
Kyrie-eleis
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen,
das trug Maria unter ihrem Herzen.
Jesus und Maria.

Da hab´n die Dornen Rosen getragen,
Kyrie-eleis
als das Kindlein durch den Wald getragen,
da hab´n die Dornen Rosen getragen.
Jesus und Maria

Eine bemerkenswerte Fassung, die sich strikter an den obigen Text hält, fand ich beim Kammerchor Vokale Neuburg. Der Satz arbeitet sehr schön heraus, was es bedeutet, wenn „die Dornen Rosen getragen“ haben. Hört man genau hin, so erkennt man in der Coda das letzte Wort: Jesum!

Es ist ein Ros entsprungen

Kirchenlieder sind wie Volkslieder – zumal wenn sie etwas älteren Datums sind – immer der textlichen und desöfteren auch der melodiösen Veränderung unterworfen. Das Lied steht im Gotteslob – GL 132/133. Die Melodie ist aus dem Speyerer Gesangbuch, Köln 1599.

Es ist gar nicht so einfach eine Fassung zu finden, die den gleichen Text verwendet wie das Gotteslob. Und unter youtube ist auch nicht der erste Treffer der beste, wenn man nach der berühmten Fassung von Michael Prätorius sucht. Die Konfusion über den Text ergibt sich schon aus der Rezeption der Quelle. Das Kirchenlied ist erst seit dem 19. Jahrhundert populär und somit kanonisch in katholischen wie auch evangelischen Gesangbüchern. Es ist jedoch wesentlich älter. Die zweitälteste gedruckte Schrift weist dieses Lied als „Das Alt Catholisch Trierisch Christliedlein“ aus, im Mainzer Cantual von 1605. Verschiedene jüngere Schriften dehnen dieses Lied zur ganzen Weihnachtsgeschichte aus, mit bis zu 26 Strophen!!! 1957 entdeckt man das Lied in einem Gebetbüchlein aus Mainz, das dort den Besitzvermerk „Liber Cartusiae Trevirensis“ trägt. Im Gotteslob wird 1587/88 als Entstehungsjahr angegeben. Der Textdichter ist unbekannt. Michael Prätorius war von dem Liedlein sehr angetan und vertonte 1610 die ersten beiden Originalstrophen. Dabei glaubte er, eine evangelische Fassung der zweiten Strophe anfertigen zu müssen, und verfehlte somit die Auflösung des Rätsels, wie es die Kirchenväter in der Jesajaexegese immer wieder sahen.

1. Es ist ein Ros entsprungen
aus einer Wurzel zart,
wie uns die Alten sungen,
von Jesse kam die Art
und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter,
wohl zu der halben Nacht.

2. Das Röslein, das ich meine,
davon Jesaia sagt,
ist Maria die reine,
die uns das Blümlein bracht.
Aus Gottes ewgem Rat
hat sie ein Kind geboren
und blieb ein reine Magd.

Das Gotteslob verstärkt die dogmatische Position auf die Jungfrauengeburt, indem „ein“ mit „doch“ vertauscht wird. Prätorius ändert 2. in folgende Version:

2. Das Röslein, das ich meine,
davon Jesaia sagt,
hat uns gebracht alleine
Marie die reine Magd.
Aus Gottes ewgem Rat
hat sie ein Kind geboren
wohl zu der halben Nacht.

Man bemerke hierbei die Dopplung der letzten Zeile in der 1. und 2. Strophe. Das veranlasste manche Spezialisten dieses zu glätten und eine ebenfalls recht alte Textvariante zu verwenden:

welches uns selig macht.

Das Gotteslob bietet uns eine ökumenische Fassung an, die ebenfalls diese Variante bedient, aber dem Originaltext folgt und das Rätsel richtig auflöst:

2. Das Röslein, das ich meine,
davon Jesaia sagt,
ist Maria die reine,
die uns das Blümlein bracht.
Aus Gottes ewgem Rat
hat sie ein Kind geboren
welches uns selig macht.

Diesen beiden Strophen liegt ein biblisches Rätsel zugrunde. Im Jesjajabuch lesen wir: „… aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.“ (Jes 11,1) Die erste Strophe gibt uns das Marienrätsel vor: Wer ist im mittelalterliche Bilderzyklus der Ros(enstock), der nach alter Überlieferung  der Wurzel Jesse (=Isai) entsprang? Und die 2. Stophe löst auf, wie es auch die Kirchenväter getan haben: Das Röslein (i.e. Rosenstöcklein) das ich meine (zugleich auch „minne“) ist Maria. Das Blümlein, die Rose, das sie uns hat gebracht hat, ist Jesus. Schon ein Jahr nach Veröffentlichung des Prätoriussatzes (1843 durch Carl von Winterfeld) hat Friedrich Layritz das Lied um 3 Strophen erweitert. Die erste dieser angehängten Strophen ist unsere heutige dritte, die perfekt die beiden Strophen ergänzt und in der Bedeutung weiterführt. Das Lied bleibt nicht beim Verweis auf die Jungfrauenschaft Marias stehen und bei der Geburt des Kindes. Die dritte Strophe betont eindeutig die Herkunft des Kindes, der Rose: „wahr Mensch und wahrer Gott“. Maria wird so als Gottesgebärerin ausgewiesen und als Mutter des Erlösers. Denn dazu ist Gott in Jesus Mensch geworden, damit die Welt durch ihn gerettet wird.

3. Das Blümelein so kleine,
das duftet uns so süß,
mit seinem hellen Scheine
vertreibt’s die Finsternis:
Wahr‘ Mensch und wahrer Gott,
hilft uns aus allem Leide,
rettet von Sünd und Tod.

Die Mainzer. Und wenn sie nicht eingeschlafen sind, finden sie nach den Retardandi am Ende jeder Strophe noch gemeinsam den Schlusston. Es kann sein, dass die Akustik des Mainzer Domes es nicht hergibt schneller zu singen, besser aber auf alle Fälle: Es mangelt an gemeinsamen t- und s-Absprachen. Allerdings bringt uns dieses Beispiel eine andere katholische Textvariante in der 2. Strophe:

„Maria ist’s die Reine“

Es kann schon ganz schön verwirrend sein, was man an Weihnachtsbräuchen etc. im Netz so findet. Auf eine besondere Art ist es die Kombination dieses Liedes mit russischen Weihnachtsbräuchen, die auch wohl in Kirchgemeinden gefeiert werden. Väterchen Frost – in blauem oder violetten Mantel – grüßt einen Metropoliten, Snegurotschka – Schneeflöckchen – darf auch nicht fehlen … Naja: Andere Städtchen, andere Mädchen (die polnische Variante für: Andere Länder, andere Sitten).

Die Nacht ist vorgedrungen

Und heute wieder ein besinnliches Adventslied. Es steht im Gottelob unter der Nummer 111. Der Vertonung von Johannes Petzold liegt der Text von Jochen Klepper zugrunde, den er im Gedichtsband „Kyrie“ 1938 unter der Überschrift „Weihnachtslied“ veröffentlicht hat. Als Leitwort stellt Klepper Röm 13,11-12 über sein Gedicht: „Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.“

1. Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern.
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.

Die „Erfurter Turmbläser“ auf dem Bartholomäusturm in Erfurt. Ein großes Glockenspiel, von dem auch Kirchenlieder des öfteren zu hören sind.

2. Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.

Der Inhalt des Liedes ist adventlich: Breit und eindringlich spricht es von der allgegenwärtigen und vielfältigen Not, die auch in dieser Welt kein Ende nehmen wird. Aber immer wieder will Gott helfen, Gott retten, Gott heilen. Das bricht in fast allen Strophen an verschiedenen Stellen durch.

3. Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet,
seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet,
den Gott selbst ausersah.

4. Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.

Ich denke, Jochen Klepper wollte sich selbst und anderen Mut machen. In einer Zeit, in der die Hoffnung auf eine bessere Zukunft im schwinden war, wollte er darstellen, wer es ist, der aufgegangen ist in dieser Zeit der Dunkelheit. Klepper heiratete die jüdische Rechtsanwaltswitwe Johanna Stein, die später zum Christentum konvertierte. Sie brachte zwei Kinder mit in die Ehe. Wegen der „nichtarischen Ehe“ geriet die Familie immer mehr unter Druck. 1942 scheiterte die Ausreise seiner jüngsten Tochter ins rettende Ausland und die Deportation ins KZ stand unmittelbar bevor. Die Familie nahm sich in der Nacht vom 10. zum 11. Dezember 1942 durch Schlaftabletten und Gas gemeinsam das Leben.

5. Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute,
der läßt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.